Freitag, März 28, 2014

Filmrückschau

NYMPH()MANIAC Teil 1 (2013) ...

A: ... hat mich ein wenig ratlos zurückgelassen. Von der permanenten Spannung in den meisten Lars von Trier-Filmen, die das Zuschauen fast unerträglich macht, weil der nächste zwischenmenschliche Knall schon in der Luft liegt, ist da nur wenig geblieben. Alles ist etwas klinischer, emotionsbefreiter, was etwas langatmig anzuschauen war, aber andererseits auch zum Wesen der Protagonistin passt.
Ich hab auch noch nie so viele Menschen während eines Films normaler Länge (knapp 2h) aufs Klo gehen sehen; da hatte keiner das Gefühl was zu verpassen. Dazu muss auch gesagt sein, dass das Publikum mutmaßlich zu einem Teil aus Menschen bestand, die in die vollkommen ausverkaufte Vorstellung von "Grand Budapest Hotel" nicht mehr reingekommen sind, und sich dann eben für "Nymphomaniac" entschieden haben, wenn sie schon einmal da waren.

M: lars wird alt. 

J: hast du denn auch teil 2 gesehen? (es ist schließlich ein film)

A. Nee. Der startet hier im April. Ich weiß, dass da noch einiges kommen kann - aber als wirklicher Anreiz fürs Anschauen des zweiten Teils hat er erste nicht getaugt, zumindest nicht bei mir.

WF: ja madig, hab mich so auf den letzten der angst-/depri-trilogie gefreut.

J: solltest du. aber ich halte den film auch für genial. schon allein weil wohl niemand den leeren blick so perfekt beherrscht wie Stacy Martin.

AL: Also mich haben vor allem die Bilder und die Musik beeindruckt. Aber mit dieser gewissen klinischen Ausstrahlung hast du wohl Recht. Wie passiv und gleichgueltig die Protagonistin in vielen Momenten ist, kam ja in der Szene mit dem Familienvater samt Familie ganz gut raus.
Ich fand ihn jedenfalls ziemlich interessant und zeitweise unterhaltsam und bin irgendwie gespannt auf den 2. Teil.

M: für mich das erste mal, dass mir die hauptfigur eines von-trier-films scheißegal ist... und dann dieser klamauk. diese einparkszene (war das nicht ein bisschen mario barth?). und dieses familienszene auf niveau einer verwechslungskomödie.

A: Ich sag ja auch nicht, dass es ein schlechter Film war. Es handelt sich bei Obigem lediglich um meinen persönlichen Eindruck direkt nach Verlassen des Kinos. Es gab einige richtig gute Episoden, allen voran die im Krankenhaus. Den zweiten werd ich mir selbstredend auch anschauen.

WF: ok, merci für die bisherig ausgewogenen eindrücke.


Grand Budapest Hotel (2013) ... ein unendlich komischer, skurriler, dabei liebenswerter und intelligenter, mit Anspielungen vollgepackter, schrulliger, hochkarätig besetzter, uneitler, altrosafarbener, nostalgischer, kurzweiliger, ins Werk des Regisseurs sich konsequent einfügender Film. So.


Montag, März 24, 2014

Filmrückschau

Schule (2000) und Poppen (Kurzfilm, 1999) ... beide Filme sind vom Regisseur Marco Petry, zudem teils mit den gleichen Jungschauspielern besetzt und thematisch grob in der gleichen Ecke, deswegen lohnt sich eine gemeinsame Besprechung. Schule gilt manchen Menschen in meinem Umfeld als einer DER Filme ihrer Jugend - da ist dann natürlich ein hoher ideeller Wert dabei. Bei mir gibt es nur wenig Identifikationspotenzial (vom Freiheitsdrang eines jungen Erwachsenen mal abgesehen), weswegen mir an dem Streifen vor allem die handwerklichen Mängel auffielen. Auch sonst konnte mich das sprüchegeladene Portrait einer Clique (Daniel Brühl, Jessica Schwiers, u.a.) rund um erste Liebe, Abistress und Kiffen nur bedingt überzeugen. Poppen ist das Debut von Marco Petry und gefiel mir insgesamt besser. Der Zuschauer bekommt nur einen kleinen, sehr subjektiven Einblick in die Geschehnisse auf einer Party. Verknalltsein, Sex, Kiffen sind auch hier die bestimmenden Themen, aber die Umsetzung finde ich etwas überzeugender.

On the Road (2012) ... Auf diese Adaption des gleichnamigen Romans von Jack Kerouac, der als wichtigster Text der Beat generation gilt, habe ich lange gewartet. Ins Kino hatte ich es nicht geschafft, als ich mir dann später die DVD im Verleihladen meines Vertrauens besorgte, war diese kaputt und zwischen dem Filmvergnügen und mir gab es erneut Hindernisse. Dann hat es doch irgendwann mal gepasst.
Mit Sam Riley, Kristen Stewart, Amy Adams, Viggo Mortensen, Kirsten Dunst ist das Roadmovie um den ambitionierten Jungschriftsteller Sal (Riley) sensationell gut besetzt. Die Bilder sind stimmig, an der Darstellung ist nichts auszusetzen. Dennoch wollte der Funke nicht so recht überspringen. Der Über-Vorlage ist der Film vielleicht doch nicht ganz gewachsen, und mit seinen 137 Min. hat er arge Längen. Schade.

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Ferris macht blau (1986) ... Diese Teenie-Komödie aus den 80er Jahren machte Matthew Broderick berühmt. Es ist so ziemlich einer der ersten Filme dieses Genres, das in den 90er Jahren zu großer (wenn auch nicht immer gelungener) Blüte kommen wird. Ferris macht blau aber ist ein äußerst witzig-skurriler und origineller Film, der neben guten Dialogen und amüsanten Figuren auch ein paar formale Schmankerl bereithält (z. B. Durchbrechen der vierten Wand). Kein Must-See, aber auch keine verschwendete Zeit.

High Fidelity (2000) ... Verfilmungen von Nick Hornby-Romanen werden für gewöhnlich Hits. So auch High Fidelity, der zudem noch das Listenmachen und das Platten-Geek.Sein wieder salonfähig gemacht hat. Grob zusammengefasst geht es um den Plattenladeninhaber Rob (John Cusack) und dessen Leben, vor allem um seine bisherigen Frauen und verkorksten Beziehungen sowie seine Liebe zur Musik. Das klingt nicht übermäßig originell - ist es aber, zumindest in dieser Umsetzung.
Dieser Film ist ein Klassiker des jüngeren Kinos, das bis in die Nebenrollen (Jack Black, Tim Robbins, Cameo-Auftritt von Bruce Springsteen) charmant und passend besetzt ist.

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Mittwoch, März 19, 2014

Zahlen bitte!

Dank der Rezension der LVZ-Doppelseite über Bier bzw. des Gastbeitrages zum Thema Gerstensaft made in Leipzig von Herrn Nova gab es hier kürzlich eine kleine Besucherexplosion. 300 Klicks pro Tag habe ich zumindest nicht allzu oft hier. Wie viele von euch gesehen haben, zog der Beitrag auch bei Facebook, den lieben Leuten von Bier in Leipzig und sogar bei der Heldenstadt weitere Kreise. Mal abgesehen von einem anonymen Kommentar des Inhalts, dass Herr Nova wohl einen Stock im Gesäß habe, waren die Reaktionen durchweg konstruktiv und weitestgehend zustimmend.

Dadurch habe ich mich nach Längerem mal wieder mit den Statistiken dieses Blogs befasst. Normalerweise verirren sich um die 60 Menschen am Tag hierher, teils absichtsvoll, teils über diverse Suchbegriffe. Diese Begriffe werden haushoch von dem glamoursöen Promi-Fußball-Model-Paar Lena Gercke und Sami Khedira angeführt. Auch der thematische Großraum "hippe Getränke/hippe Limonaden" ist nach wie vor gut im Rennen. Dazu kommen verschiedene Autorennamen (Christa Wolf, Arthur Schnitzler, Sigmund Freud), die im 'Gelesen'-Menü rechts auftauchen. Reiseziele wie Trondheim, Prag haben ebenso zu Klicks geführt wie Musikbeiträge, vor allem jene über Placebo

Sehr häufig führt die Google-Bildersuche Menschen hierher. Außerdem verweisende Websites, allen voran heldenstadt.de, aber auch die Nova Station, aktuell auch Bier in Leipzig, Kathrins langsam wieder aufwachender Blog und hier und da auch facebook. Die Menge der verweisenden Seiten hat sich in letzter Zeit verringert, weil ich den Link aus den meisten meiner Internetprofile entfernt habe.

Der mit Abstand am häufigsten besuchte Blogpost ist die Albumrezension zu Placebos Battle for the Sun mit über 3.300 Klicks. Ebenfalls gut besucht sind meine Desktopbilderschau und ein Beitrag zur Fußballeuropameisterschaft 2012, der die Bilderserie von Gercke und Khedira aus dem GQ-Magazin enthält. In dieser Liste befindet sich Herrn Novas Bier-Beitrag mittlerweile schon auf dem sechsten Platz.

Zu guter Letzt noch etwas Technikvoodoo. Die meisten Klicks habe ich logischerweise von Rechnern in Deutschland, es folgen die USA, Schweden und Frankreich. Angeblich sind in den bisherigen ca. 55.500 Klicks auch knapp 200 aus China enthalten. Etwa die Hälfte der Besucher nutzt Firefox als Browser, 19% den Internetexplorer, 14% Google Chrome, 7% Safari und 5% Opera. Zu 1% und weniger nutzen die Leser Mobile Safari, Iron und Iceweasel. Hinsichtlich des Betriebssystems sind ca. 75% der Besucher schnöde Windows-Nutzer wie ich. Linux folgt mit 8% und Mac mit 7%.

Sonntag, März 16, 2014

Satz des Tages

Mein Wohlbefinden sinkt mit steigender Anzahl von Altglas in der Küche.

Mittwoch, März 12, 2014

Filmrückschau

Happy-Go-Lucky (2008) ... Ich habe in den letzten Jahren viel Gutes über diesen Film gehört, er wurde mir von mehreren Menschen wärmstens empfohlen, gar als Londoner Amélie verkauft. Und wisst ihr was? - Ich finde diesen Film vollkommen überbewertet und dazu noch ziemlich nervtötend. Habe mich die knapp 120 Minuten ganz schön durchquälen müssen. Es gibt ein paar starke Szenen, z. B. beim Ausflug nach Brighton oder während der Fahrstunden, aber abgesehen davon kann ich ihn guten Gewissens nicht weiter empfehlen.

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Blutige Erdbeeren (1970) ... Endlich mal ein gut ins Deutsche umgesetzter Filmtitel (Original: The Strawberry Statement)! Worum geht's: der Film behandelt die Studentenrevolten 1968 an der Columbia University. Der Filmtitel resultiert aus einer Rede des Dekans der Columbia University, die er kurz vor den Unruhen hielt. Hier der entscheidende Auszug in übersetzter Form: Eine Universität ist definitiv keine demokratische Einrichtung. Wenn hier angefangen wird, Entscheidungen demokratisch zu fällen, werde ich nicht länger bleiben. [...] ob Studenten für oder gegen einen Erlass stimmen, das ist, als würden sie mir erzählen, sie mögen Erdbeeren.
Dieser Abstaz sollte sowohl den Filmtitel als auch einen der Gründe für die Unruhen erklären können. Gedreht wurde übrigens in San Francisco, da man keine Drehgenehmigung an der Columbia erhielt. Der Film ist teils sehr witzig, teils hochdramatisch, vor allem die Szene der Räumung der strudentischen Sitzblockade durch die Polizei geht an die Nieren. Ein wichtiger Film.

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Zerrissene Umarmungen (2009) ... Im Rahmen einer wöchentlichen Filmreihe zum groben Thema "Frauen und ihre irgendwie gearteten Sorgen" (oder so) auf Einsfestival habe ich endlich meinen ersten Pedro Almodovar-Film gesehen. In dieser Reihe lief neulich auch schon der oben besprochene Happy-Go-Lucky.
Die Logik der eigentlich recht verschwurbelten Handlung entfaltet sich ganz leicht, wie von allein und die Bildsprache ist wirklich beeindruckend. Die Farben sind stark, fast schon grell, und alles passt auf merkwürdige Art zusammen. Für mich war es ein ungewohntes Seherlebnis; Filme dieses Regisseurs scheinen auf besondere Weise zu funktionieren. Vor allem Volver (2006), Sprich mit ihr (2002) und Die Haut, in der ich wohne (2011) interessieren mich noch brennend.

Dallas Buyers Club (2013) ... Seht ihn euch an! Alle Darstellerpreise für McConaughey (ich schaffs nicht, diesen Namen ohne nachzugucken aufzuschreiben) und Jared Leto sind absolut berechtigt; die Geschichte um einen HIV-kranken Chauvinisten, der sich in bester Raffgiermanier ein AIDS-Medikamenten-Business aufbaut, ist lässig, tragisch, witzig und wichtig zugleich.

Samstag, März 08, 2014

Zwei oder drei Worte zur Leipziger Brautradition


Gastbeitrag gesendet von der Novastation
 
Ich hatte vor drei Jahren auf meinem Blog Novastation schon einmal, wenn auch nur ansatzweise, über den eigenwilligen Umgang Leipzigs mit dem Wort „Tradition“ geschrieben. Es ging dabei vor allem um den Selbstbetrug der einstigen Buchstadt, die in jedem März so tut, als wäre sie noch immer Buchstadt – ungeachtet der Tatsache, dass es in Leipzig keinen großen Belletristikverlag mehr gibt. Hierbei klammere ich die emsigen Indie-Verlage, allen voran den poetenladen, explizit aus.

Dass das Ausruhen auf den Überresten von Tradition in Leipzig scheinbar selbst zu einer Tradition geworden ist, beweist die jüngst in der LVZ (Ausgabe vom Dienstag, 4.3.2014) erschienene Doppelseite zur so genannten „Brautradition“ der Messestadt. Die im Zuge der Craft-Beer-Bewegung immer häufiger werdende Berichterstattung über die Herstellung und Geschichte des Kulturgetränks freut mich als Bierliebhaber und Heimbrauer natürlich sehr. Zumal Bier immer noch nicht die gleiche Wertschätzung wie etwa Wein oder hochwertige Spirituosen genießt, obwohl es eine ähnliche handwerkliche und aromatische Komplexität aufweisen kann. Da Bier aber immer mehr zum industriellen Massengetränk verkommen ist, legen viele Biertrinker, und leider auch Brauer, scheinbar keinen großen Wert mehr auf diesen potentiellen Reichtum.

Journalismus oder PR? Sternburg Export dominiert LVZ-Sonderseite

Einer der besten Beweise hierfür ist das in Leipzig gebraute und in den „neuen Bundesländern“ zum Kultbier avancierte Sternburg Export. Die enorme Beliebtheit des Bieres sowie das clevere Marketing der Brauerei sind nicht von der Hand zu weisen und beeindrucken auch mich auf gewisse Weise. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass Sternburg die letzte verbliebende Großbrauerei Leipzigs und somit fast zum alleinigen Repräsentanten „Leipziger Bierkultur“ geworden ist. Dabei muss man jedoch sagen, dass die Marke Sternburg gezielt im Niedrigpreissegment platziert ist und mit ca. 29 Cent pro halbem Liter eine schnelle Verbreitung finden musste. Nun gibt es in der Warenwelt ein Motto, das Konsumenten (auch ich) leider viel zu selten im Kopf haben: Hinter jedem günstigen Preis steht die Geschichte seiner Entstehung. In Sachen Bier sind derart niedrige Preise wie sie Sternburg hat nicht anders zu erklären, als mit der Verwendung billiger Rohstoffe für die Herstellung eines charakterlosen Massenprodukts (Sternburg benennt seinen Jahresausstoß mit über einer Million Hektoliter). Das alles muss sich natürlich auch im Geschmack des Bieres niederschlagen und tatsächlich konnte mir bisher kein „Sterni“-Trinker beschreiben, wonach sein Lieblingsgetränk eigentlich schmecke, außer „Bier eben“.

Dabei hatte ich bereits angedeutet, dass Biere auch und gerade unter der ausschließlichen Verwendung ausgesuchter Malze und Hopfensorten zu wahren Geschmacksbomben werden können. Von frischen, säuerlichen Citrusnoten über komplexe Gewürz- und Nussaromen bis hin zu einem wuchtigen Kaffee- und Schokoladengeschmack lässt sich aus Hopfen, Malz, Wasser und der so oft vergessenen Hefe Erstaunliches kreieren. Und diese Biere müssen nicht zwangsläufig im völlig (unnötig) überteuerten Luxusbiersegment angesiedelt sein, die nur aus dem Braufactum eigenen Verkostungsglas (eine Anbiederung an die ach so elitäre Weinkultur) genossen werden dürfen. In Sachen Sternburg Export würde ein solches Verkostungsglas ohnehin sinnlos sein, weil es keine nennenswerten Aromen besitzt, die man mit der Nase oder dem Mund aufnehmen könnte. Es besitzt schlichtweg einen dumpfen Körper, der mit seinem panschig-alkoholischen Malz einen metallischen Geschmack erzeugt, der von keinem Nachgeschmack der Welt weggefegt werden könnte. Nachgeschmack gibt es beim „Sterni“ ohnehin nur als leichteste Bitterkeit, die es auf merkwürdige Weise schafft in klebrige Süße umzuschwenken.

Die Frage also, was genau Sternburg Export so beliebt macht, wird sich mir bzw. meinem Geschmack wohl nie erschließen (dabei ist „Sterni“ in Sache gehypter Kultbiere, die im Prinzip nach nichts schmecken, in guter Gesellschaft). Jedenfalls scheint es vielen Leipzigern besser zu schmecken als das 2012 eingestellte Reudnitzer, das laut Zitat in der LVZ „zwar viel getrunken, aber nicht geliebt“ wurde. Wobei ich mich frage, warum man ein Bier, das einem im Grunde nicht schmeckt, trinkt. Sollte es den Leipzigern wirklich nur ums Saufen gehen, haben sie mit Sternburg bekommen, was sie verdienen – und über Brautradition und Bierkultur brauchen wir dann auch nicht mehr reden. Aber das war ja überhaupt der Grund dieses Beitrags, die Leipziger Brautradition – in der LVZ dargestellt in Form einer 2/3 der Doppelseite ausfüllenden Sternburg-Promotion. Dass Leipzig einst über 30 Brauereien hatte, erfährt man im wahrsten Sinne des Wortes nur am Rand. Und der einzige Artikel, der sich mit einer alten (freilich nicht mehr existierenden) Brauerei beschäftigt, ist im Grunde nicht mehr als eine Liebesgeschichte mit einem tüchtigen Hang zur Nostalgie und den guten, alten Zeiten als das Glas Bier noch 40 Pfennig kostete. Auch sonst erfährt man nicht wirklich etwas über Tradition oder was die Leipziger Sudhäuser besonders gemacht hat. Und das liegt unter anderem daran, dass es vor der „Wende“ und erst recht vor dem Zweiten Weltkrieg in so gut wie jeder größeren Stadt eine stattliche Anzahl an Brauereien gab, weil fast jeder größere Gasthof sein Bier selbst braute. Eine Tradition, der es nördlich von Oberfranken wirklich nachzutrauen gilt! 

Dennoch machte die Fülle an Brauereien eine Stadt nicht automatisch zur Bierstadt, wie etwa Bamberg oder Dortmund. Und Leipzig schon gar nicht, obwohl die Messestadt einen ganz und gar einzigartigen Braustil sein Eigen nennt: die Leipziger Gose (die ursprünglich aus Goslar kommt). Ein obergäriges Bier, dem neben Hopfen, Malz und Wasser noch Milchsäure, Koriander und Salz zugegeben wird. Gose ist für Bierfreaks auf der ganzen Welt eine wahre Spezialität und aufgrund der wenigen Brauereien, die sie herstellen mitunter eine Rarität. Allerdings kann man nicht wirklich behaupten, dass die Leipziger die Gose-Tradition übermäßig pflegen, scheiden sich doch auch unter den Eingeborenen der Messestadt die Geister, ob die Gose aufgrund ihres eigenwilligen Geschmacks überhaupt trinkbar ist. (Den Touristen hingegen kündigt man das Bier gern als stadtweit beliebte Spezialität an, die jeder echte Leipziger gern trinkt.) Dementsprechend gibt es in Leipzig auch nur zwei explizit als Gose-Wirtschaften bezeichnete Gaststätten: die Gosenschenke „Ohne Bedenken“ im Stadtteil Gohlis und die Gosebrauerei „Bayerischer Bahnhof“.

Zum Glück stellt die LVZ in ihrem Spezial den Braumeister des Bayerischen Bahnhofs, Matthias Richter, vor, dessen Lokal als einziger echter Leuchtturm der Leipziger Braukultur gelten kann. Zum einen braut Richter eine exzellente Leipziger Gose, die einen wirklichen Beitrag zur weltweiten Bierkultur darstellt und den Bayerischen Bahnhof zu einer Pilgerstätte internationaler Bierliebhaber macht. Zum anderen hält er die wahre Tradition des Saisonbierbrauens hoch, die es ihm erlaubt mit Hopfen und Malz zu experimentieren und Biere zu kreieren, die man in keinem Supermarkt der Stadt kaufen kann. 

Immerhin kommt dann aber doch noch die Liga der Freaks, Connaisseure und Heimbrauer zu Wort. Zum einen sind das Srdan und Sebastian, die hier über Bier in Leipzig bloggen. Zum anderen ist das Frank Neumeister, der das alte Handwerk des Bierbrauens in seinem Böhlitz-Ehrenberger Reihenhaus aufrecht erhält. Und wahrlich, ich sage euch (und verzeiht mir den pastoralen Ton), Heimbrauen ist mehr als einfach nur nicht länger zum Supermarkt laufen zu müssen! Als Heimbrauer bestimme ich die Qualität der Zutaten, die in mein Bier kommen. Als Heimbrauer bestimme ich wie mein Bier schmeckt. Als Heimbrauer bestimme ich – und führe damit ein Handwerk fort, das seit Jahrhunderten für die Erzeugung eines (in Maßen) gesunden, natürlichen und qualitativ hochwertigen Lebensmittels steht. Und wer das jetzt theatralisch oder sonst wie zu dick aufgetragen empfindet, dem rate ich es selbst zu versuchen. Oder das „Sterni“, das „Krosti“, das Beck’s, das Krombacher, das x-te TV-beworbene Massenbier einfach mal gegen ein Bier aus einer Kleinbrauerei aus Franken, Bayern oder eben Leipzig einzutauschen. Von letzteren gibt es übrigens noch das „Brauhaus an der Thomaskirche“ und das „Brauhaus Zum Kaiser Napoleon“ in Probstheida, für die die LVZ nur Nebensätze übrig hat.

Unerwähnt bleibt auch in diesem Beitrag so einiges… z. B. das leidige Thema Ur-Krostitzer, die deutsche Biertrinkerkultur als solche, die soziale Ächtung des Biers gegenüber des Weins, Craftbier, Fake-Craftbier, Luxusbier und und und... über das ein oder andere wird noch an anderer Stelle zu schreiben sein. Bis dahin wünsche ich allen Heimbrauern Gut Sud! Und allen Biertrinkern (auch den „Sterni“-Fans) Prost!

Mittwoch, März 05, 2014

Florian Illies "1913"

Quelle: Verlagspräsenz
1913 (Verlag S. Fischer) vom Kulturjournalisten Florian Illies (ja, genau der, der Generation Golf geschrieben hat), Jahrgang 1971, ist ein großartiges Buch, voller überraschender großer und kleiner Entdeckungen. Es wird ein Panorama des Jahres 1913 entworfen, und zwar auch mal abseits des 'Vorabend des Großen Krieges'- Stempels, den dieses Jahr hat. Vielmehr geht es um die unfassbar vielen, gleichzeitig stattfindenden kulturellen Entwicklungen in diesem Blütejahr der Moderne. Natürlich vergisst der Autor das in nächster Zukunft drohende Unheil nicht ganz, am Horizont erscheint es immer mal wieder wie ein flüchtiger Blitz eines Gewitters, dessen Näherkommen nicht aufzuhalten ist.

Chronologisch von Januar bis Dezember sortiert, erfährt der Leser in den gleichsam charmanten wie witzigen und klugen Texten von Illies, was Kafka, Thomas Mann, Sigmund Freud, Albert Einstein & Co. in diesem Jahr so getrieben haben. Die einzelnen Epidosen haben Anekdotencharakter, die Fakten sind alle gut recherchiert, sie stammen etwa aus Tagebüchern, Briefen und anderen schriftlichen Zeugnissen. Hier und da lässt Illies die historisch gewordenen Protagonisten nach seiner Phantasie agieren, etwa was mögliche Gedankengänge oder Gefühle betrifft, dann aber immer schön im Konjunktiv.

Ganz nebenbei erfahren wir auch viel über das Europa (und Nordamerika) zu Beginn dieses Jahrhunderts, über das alltägliche und gesellschaftliche Leben. Ein kurzes Beispiel soll diesen Blogeintrag anschaulich abrunden:

"Die 'Welt der Frau', eine Beilage der 'Gartenlaube', meldet in Nummer 5: 'Das Abendkleid dieser Saison zeichnet sich durch luxuriöses Gepräge und phantastische Drapierungen aus, die auch der geschicktesten Schneiderin manch harte Nuss zu knacken geben.' Man kann sich für die schönsten Kleider direkt Schnittmuster bestellen. Interessant sind die möglichen Hüftbreiten: 116, 112, 108, 104, 100 und 96. Darunter ist nichts denkbar. Erst in der Nummer 9 hat dann die Redaktion ein Erbarmen und kündigte groß an ' Mode für schlanke Damen'! Und es folgt mit großer Anteilnahme der schöne Satz: 'Sie haben es nicht immer leicht, die schmächtigen, überschlanken Evastöchter, sich gut und der Mode entsprechend anzuziehen. Da heißt es zu Kompromissen zu greifen und das, was die Natur versagt, durch geschickte, faltige Arrangements zu kaschieren.' Was die Natur versagt - Schlankheit gilt 1913 noch als eine Art Schicksalsschlag."
(Florian Illies: 1913 - Der Sommer des Jahrhunderts, Frankfurt am Main 2012, S. 79f.)