Freitag, Februar 08, 2013

Eine der größten Dummheiten der Menschheit

Über meine faszinierte Haltung hinsichtlich asiatischen Landstrichen und Dokumentationen darüber habe ich im vergangenen Eintrag bereits berichtet. Eine wichtige Grundlage dafür legte zum einen meine Japanbegeisterung aus Teenagertagen, zum anderen die Reportage "Berlin - Saigon" des vielfach ausgezeichneten deutschen Journalisten Dirk Sager (edit 2014: der mittlerweile leider verstorben ist). In dieser Doku begibt sich Sager auf eine der längsten mit der Eisenbahn zu reisenden Strecken, die auf diesem Planeten machbar sind. Von Berlin aus reist er durch Polen und Weißrussland nach Moskau, von da geht es weiter nach Osten durch Kasachstan, an den Aralsee, durch den Norden Chinas, dann Richtung Süden nach Hanoi und Saigon.

Die Bilder, welche die Doku vom Aralsee - oder dem, was davon noch übrig ist - zeigen, sind mir lange nicht aus dem Kopf gegangen. Im Grunde handelt es sich um eine postapokalyptische Landschaft, wie sie im Buche steht. Dem Reisenden bzw. dem Fernsehgucker zeigt sich nämlich das hier: 




Überall liegen alte verrostete Schiffe und verfallen mehr und mehr, ringsherum ist nichts als Wüste. Aber wo ist der See hin, der mit einer Fläche von 68.000 Quadratkilometern einmal der viertgrößte See der Erde war?

Er ist verlandet, ausgetrocknet, denn seine zwei Zuflüsse, der Amudarja und der Syrdarja, erreichen ihn nicht mehr. Auf ihrem Weg durch Usbekistan, Kasachstan und all die anderen -stans werden soviele Kanäle von den beiden Flüssen abgezeigt, um Felder zu bewässern, dass der Syrdarja den Aralsee nur noch als Rinnsal erreicht und der Amudarja in der Wüste einfach endet, noch bevor er sein ursprüngliches Delta erreicht hat. Deswegen nimmt der Wasserspiegel des Aralsees seit Jahrzehnten kontinuierlich ab, seine Fläche wird immer kleiner. Eine animierte Karte seines Kleinerwerdes findet sich hier

Ingesamt sind vom ursprünglichen See, wie er 1960 noch existiert hat, nur noch 10% übrig, aber durch die Verdunstung des Wassers hat sich der Salzgehalt mehr als verzehnfacht - an ein Leben von der Fischerei ist für die Menschen dort also nicht mehr zu denken. Zudem erkranken viele Menschen in der Region an Tuberkulose, weil Sand- und Salzstürme seit der zunehmenden Austrocknung immer häufiger auftreten. Es gibt viele Städte, etwa das usbekische Moynak, die einmal wichtige Hafenstädte waren und nun über 100km vom Wasser entfernt liegen. 

Der alte Hafen von Moynak - vom See ist keine Spur mehr

Die ersten Maßnahmen, die zu dem heutigen Ergebnis führten, wurden in den 1950er Jahren getroffen. Usbekistan und Kasachstan sollten die Baumwolllieferanten der Sowjetunion werden, das trockene, heiße zentralasiatische Klima lässt den Anbau dieser Pflanze aber eigentlich gar nicht zu. Also beschloss man, die Wasserressourcen der wenigen vorhandenen Flüsse zu nutzen. 

Es handelt sich also um eine menschengemachte Katastrophe, welche die Tier- und Pflanzenwelt, die Umwelt und die Kultur der Region gleichermaßen trifft. Viele Fischarten, aber auch Tiger und Antilopen sind dort nun nicht mehr anzutreffen. Die Kindersterblichkeit ist so hoch wie sonst nirgends in den ehemaligen Sowjetgebieten, die meisten Menschen sind mangelernährt und der einstmals aktive Tourismus am See ist zum Erliegen gekommen. Die Bewohner sind also überwiegend krank und verarmt. Die Region ist total vergiftet: die Flüsse und der See sind voller Schwermetalle und übersalzen, die Desertifikation geht schnell voran und überall entstehen Salzsteppen. Zu allem Überfluss hat man die Entlaubung der Baumwollplantagen jahrzehntelang mit Agent Orange betrieben. Die im Vietnamkrieg bekannt gewordene Chemikalie schädigt das Ergbgut dauerhaft und ist auch jetzt noch in jeder Handvoll Wüstenstaub nachweisbar.

Hinzu kommt, dass eine ganze Kultur am Aussterben ist: Am ehemaligen Südufer des Sees wohnt das Volk der Karakalpaken (Karakalpakistan ist eine autonome Republik auf dem Gebiet Usbekistans). Dieses Volk wurde von der Katastrophe des Aralsees mit voller Wucht getroffen.

Warum aber weiß man so wenig über diese Katastrophe? Die Wissenschaft ist sich einig, dass sie in ihren ökologischen, gesundheitlichen und kulturellen Ausmaßen ebenso fatal ist wie etwa der nukleare Super-GAU von Tschernobyl. Die Aufmerksamkeit ist aber im Vergleich verschwindend gering. Verwunderlich, bei solch starken Bildern.

Der Aralsee 1989 (links) und 2008 (rechts)

Wen das alles interessiert, der kann sich eine ca. 60minütige Arte-Doku darüber ansehen, die in fünf Teile gesplittet auf Youtube zu finden ist.

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